Die Hauptkirche
Das Gebäude wie Sie es heute vorfinden, wurde im Zeitraum 1706 - 1714 an Stelle einer kleineren Kirche, die vermutlich romanischen Ursprungs war, errichtet. Angedacht von ihrem ersten, zu diesem Zeitpunkt bereits verstobenen Mann Wolfgang Julius von Hohenlohe-Neuenstein, veranlasste Gräfin Franziska Barbara von Hohenlohe, geb. von Welz, den Bau der Kirche. Daneben sorgte sie sich zu ihren Lebzeiten noch um einige weitere Bauten in Wilhermsdorf, wie zum Beispiel die Schule in der Burgmilchlingstraße und das Spital (oder Siechenhaus) mit der Spitalkirche und trug damit und anderen weiteren klugen Maßnahmen maßgeblich zu einem nachhaltig religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung im Marktflecken Wilhermsdorf bei. (Informationen zur Geschichte der Marktgemeinde Wilhermsdorf)
Manche Menschen die unsere Kirche besuchen, kommen unwillkürlich ins Grübeln, ob diese Kirche nicht eine katholische Kirche sei. Dieses Grübeln ist berechtigt und man könnte der Stifterin diesen Denkanstoß als Absicht hinter diesem Bau unterstellen.
Die barocke Architektur des Gebäudes, aus der Feder und unter Leitung des katholischen Würzburger Hofbaumeisters Joseph Greißing (*1664 - +1721), lehnt sich deutlich an die damals „modernen“ katholischen Kirchenbauten an, von denen viele ein ähnliches Raum- und Gestaltungskonzept verfolgen. Denn wer die Kirche und vor allem den Gottesdienst in ihr besucht, darf in dieser Zeit eine Ahnung von der Herrlichkeit des Himmels im Jenseits bei Gott erleben.
Mit prächtiger Musik ausgestaltet und den mit funkelnden Effekten von Blattgold und anderem Glitzerwerk in und um die Bilder der biblischen Geschichten inspiriert, wird man bei alledem von himmlischen Wesen begleitet. - In Wilhermsdorf sind über 50 Engel am Werk - So entsteht in der Summe ein wahrhaft himmlischer Eindruck, der die Sorgen des Alltages im "irdischen Jammertal" für eine Zeit vergessen und die Hoffnung wachsen lassen kann, dass einst bei Gott das Elend der Welt überwunden und es schließlich rundum besser sein wird.
So nimmt die innere Gestaltung dieser evangelischen Patronats- und Pfarrkirche in der Art ihrer Ausführung, diese prunkvollen barocken Gestaltungsgedanken der katholischen Bauten dieser Zeit, in protestantischer Denkweise und Theologie auf. Das Bildprogramm, die Anordnung von Taufstein, Altar und Kanzel und die weitere Ausgestaltung der Kirche sind in der Summe vollkommen stimmig im Bezug auf die lutherische Lehre über die zentrale Bedeutung von Wort und Sakrament.
Auch die biblischen Darstellungen von der Einsetzung des Abendmahles am Gründonnerstag, über die zentrale Kreuzigungsszene hinauf zur Erscheinung des Auferstandenen Jesus in der Thomaserzählung, bis zur Himmelfahrt Christi mit dem „Sitzen zur Rechten Gottes“ und den beiden Apostelfiguren Petrus und Paulus machen das protestantische Prinzip des „sola scriptura“ (= allein die biblische Schrift) deutlich erkennbar.
Ebenso die zentrale Anordnung des Taufsteines, an dem jeder und jede zum Empfang des Abendmahles vor dem Altar vorbeigehen muss, und damit an seine oder ihre eigene Taufe erinnert wird, vereint untrennbar die beiden „ökumenischen“ Sakramente, die für den Protestantismus maßgeblich sind.
Die Ausführung des Baus und die Ausgestaltung erfolgte durch teilweise extra für diesen Bau in Wilhermsdorf angesiedelte, teils ebenfalls katholische Kunsthandwerker, deren Kunstfertigkeit auch nach der Fertigstellung der Hauptkirche in der mehrheitlich protestantischen Region noch längere Zeit gefragt war. („Die Wilhermsdorfer Altarmacher“- Sonderdruck: „Streiflichter aus der Heimatgschichte“ 2017 von Vito Bacigalupo M.A.)
Immer wieder wird auch in modernen Publikationen versucht, den alten Patronatsnamen „St. Martin und Maria“ der "Hauptkirche" zuzuweisen, das muss bis heute zurückgewiesen werden.
Es bleibt weiter ein Rätsel, warum die Hauptkirche keine weitere, in den umfangreich vorliegenden Dokumenten zur Einweihung der Kirche, belegte Benennung erfahren hat.
Möglicherweise könnte auch hier ein „protestantischer“ Hinweis zu finden sein, in dem eine solch schlichte Benennung als „Hauptkirche“, der Zweckbezeichnung „Kirche“ (griechisch: kȳrikón = „Haus Gottes“) klar den Vorrang gibt.
Wie passt in das Alles dann noch das Wappen der Stifterfamilie, so zentral auf dem Altar?
Es ist kein Abbild der Eitelkeit, wie man heute meinen könnte. Es ist vielmehr Abbild des barocken Weltbildes und des Selbstverständnisses von Herrschaft in dieser Zeit.
Die Herrschaft hat sich den Platz der Herrschaft nicht ausgewählt und die Menschen im Volk haben ihren Platz ebenfalls nicht frei gewählt. Es ist ihnen allen von Gott durch die Geburt vorherbestimmt, jeweils Teil seiner "guten" Ordnung zu sein und dort den jeweiligen Dienst "gottgefällig" auszuüben.
Für die Gräfin Franziska Barbara galt somit der innere Auftrag, in der Erfüllung dieser Vorgabe und mit dem was ihr gegeben war, für die religiös und weltlich tolerante Ordnung in ihrem kleinen Herrschaftsbereich zu sorgen. So wird die Erfüllung dieses “göttlichen“ Auftrages in Wilhermsdorf auf dem Altar, an zentral sichtbarer Stelle, mit dem Wappen der Familie, wie auf einer Urkunde, besiegelt.
Auf diese Weise kann man dieses Gebäude in der Summe als „barock-ökumenische“ Handreichung einer Protestantin an ihren zweiten, katholischen Ehemann Philipp Ernst von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst und dessen Herkunftsfamilie verstehen, die das verbindende der christlichen Botschaft im gemeinsamen Leben deutlich ins Zentrum rücken will. Gleichzeit ist dieser Kirchenbau mit der Ausrichtung des Portales auf das heute nicht mehr existierende Schloss, ein Signal an alle, die diesen Ort besuchen, dass hier eine Regentenfamilie ihrem damals so verstanden "göttlichen" Auftrag vollumfänglich nachgekommen ist.
Somit ist diese Kirche ein Zeugnis des tief empfunden Glaubens von vor 300 Jahren und auch des Ringens um Einigkeit und Wohlergehen in schweren Zeiten, über die Grenzen des Lebens hinaus, in die Ewigkeit Gottes hinein.
Und sie ist heute eine nicht immer leicht zu nutzende Aufgabe für die Gemeinde. Ein sehr schönes und sehr wertvolles Gebäude, das mit Teilen seiner Botschaft aus der Zeit gefallen zu sein scheint und in der dennoch lebendige und zeitgemäße Gottesdienste gefeiert werden können. Manchmal ganz festliche und manchmal ganz anders. Ein Ort der weiterhin notwendigen christlichen Botschaft, der Kultur und der Beheimatung für viele Menschen aus nah und fern.
Die Spital- oder Gottesackerkirche
Konsequent, wie bei der Hauptkirche, ist auch bei diesem Kirchlein in der Spitalstraße der Name Programm. Neben dem ebenfalls von Gräfin Franziska Barbara von Hohenlohe noch vor ihrem Tod 1718 in Auftrag gegebenen Spital oder Siechenhaus, wurde am 6. Mai 1727 nach 9 Jahren Bauzeit dieses Kirchlein eingeweiht.
Entsprechend dem Selbstverständnis der Zeit waren Siechtum und Tod normale Bestandteile des Lebens vor 300 Jahren. Somit war auch ein Spital nicht unbedingt ein Ort der Gesundung, sondern mehr ein Ort der Pflege, der Begleitung und Vorbereitung zum Sterben. Dabei war es völlig normal und wichtig sich im Leben auf dieses „Dahinscheiden“ und das neue Sein bei Gott vorzubereiten.
Zwei kleine Engel auf der Spitze des Altares in der Kirche machen es den Betrachtenden deutlich mit der Sanduhr die für das verrinnen der Lebenszeit steht und dem Totenschädel der an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens mahnt.
Auch sonst ist der sehr schlicht gehaltene Innenraum sehr klar in seiner Struktur und Bildersprache. Wieder spielt, gut evangelisch, das Wort der Bibel eine zentrale Rolle. Die Evangelisten auf der Kanzel und die Kreuzigungsszene der, nach einem Diebstahl 1974, neuen Figuren auf dem Altar, machen deutlich, worum es im Kern geht. „Jesus Christus ist für uns gestorben, sein Leiden steht auch stellvertretend für das Leiden das uns umgibt.“ Gleichzeitig gilt mit ihm aber auch das Wort aus dem Johannesevangelium „Jesus Christus spricht: ich bin die Auferstehung und das Leben.“
Der Wandel der Friedhofskirche zur Kirche für alle Lebenssituationen und Bedürfnisse der Kirchengemeinde erfolgte erst langsam mit der Verlagerung der Begräbnisse zum neuen Friedhof oben auf die Steige, der Einrichtung des Ehrenhaines in Kooperation mit der Kommune und der grundlegenden Sanierung des Gebäudes in den 1980er Jahren.
Die schlicht gehaltene Spitalkirche ist heute ein tagsüber offener Ort der geistlichen Einkehr und Ruhe. Auf dem in den 30er Jahren aufgelassenen, ehemaligen Friedhofsgelände daneben finden sich heute im „Ehrenhain“ alle einst im Ort verstreuten Ehren-, Denkmale und -tafeln und ein neu errichtetes Denkmal, mit dem der in der Nazizeit vertriebenen, verschleppten und ermordeten jüdischen Mitbürger aus Wilhermsdorf gedacht wird.
In den Wintermonaten von Januar bis Ostern finden hier alle Gottesdienste der Gemeinde statt. Darüber hinaus erfolgen im Sommer Gottesdienste unter freiem Himmel im Ehrenhain, es gibt regelmäßige Friedensgebete sowie andere Andachten und immer wieder sind auch Kulturveranstaltungen zu erleben.